Aufruf an die Männer
nationale vereinigung -MännlichPlural
Die Gewalt gegen Frauen betrifft uns alle
Ergreifen wir das Wort und die Initiative als Männer
Eine Anhäufung täglich von Männern ausgeübter Gewalt gegen Frauen ist zu verzeichnen, die Statistiken sind allarmierend auch in den sogenannten „entwickelten“ westlichen, demokratischen Ländern; Gewalttaten, die von barbarischen Formen des Mordes und der Vergewaltigung, über Hiebe und Schläge, Nötigung und die Negierung von Freiheit innerhalb der Familie bis hin zum Akt der Erniedrigung des weiblichen Körpers gehen. Eine Untersuchung des Europarates bestätigt, daß männliche Gewalt weltweit die Hauptursache für den gewaltsamen Tod und die lebenslange Invalidität von Frauen im Alter von 16 bis 44 Jahren ist und diese Gewalttaten ereignen sich vor allem innerhalb des häuslichen Bereichs.
Stehen wir vor einer quantitativen Zunahme dieser Gewalttaten oder einer größeren Bereitschaft seitens der Frauen diese Gewalttaten auch anzuzeigen?
Tatsache ist jedenfalls, daß sich in der Öffentlichkeit mittlerweile eine Einstellung und Sensibilität gebildet haben, diese extremen Auswüchse männlicher Sexualität und männlichen Machtmißbrauchs nicht weiter zu tolerieren.
Wer in Schulen und sozialen Einrichtungen arbeitet, beklagt eine oft sehr kritische Situation der Verhaltensweise von männlichen Jugendlichen, die sowohl individuell als auch innerhalb einer Gruppe zu mehr gewalttätigen Verhaltensformen neigen als gleichaltrige weibliche Jugendliche.
Vielleicht verursacht der Untergang alter Verhaltensmuster zwischen den Geschlechtern, die auf einer nicht angezweifelten Vormachtstellung des männlichen Geschlechts beruhten, eine Krise und ein ‚Aus-der-Bahn-geworfen-sein’ der Männer. Dies erfordert dann eine neue Fähigkeit der Einsicht und des Selbstverständnisses, eine vertiefte Suche über die Art unserer Sexualität und über die Art unserer Beziehung zu Frauen und anderen Männern.
Die feministische Revolution, die wir seit der 2.Hälfte des letzten Jahrhunderts erlebt haben, hat die Welt verändert. Sie hat in erster Linie unser Leben verändert, unsere familiären Beziehungen, die Freundschaft und Liebe zwischen Männern und Frauen, das Verhältnis zu Töchtern und Söhnen. Geändert haben sich Gewohnheiten und die Art der Gefühle. Selbst die niedergeschriebenen Normen des Zusammenlebens unterziehen sich, wenn auch mühsam, dieser Veränderung.
Das Sich-Behaupten der weiblichen Freiheit ist eine Realität, die nicht nur die westlichen Länder betrifft. Die Emanzipations- und Befreiungsbewegung der Frauen hat sich in verschiedenen Gestaltungs- und Realisierungsformen und mit unterschiedlicher Wahrnehmung in der gesamten Welt verbreitet. Die Situation der Frauen taucht auch immer wieder in der Polemik des „Kampfes der Kulturen“ auf, der angeblich gerade weltweit stattfindet. Wir glauben, daß die Logik des Krieges und des „Kampfes der Kulturen“ nur durch eine „Veränderung der Kultur“ überwunden werden kann, begründet in der gesamten Welt durch eine neue Qualität der Beziehung zwischen Männern und Frauen.
Heute durchleben wir eine widersprüchliche Phase, in der es scheint, daß sich eine breite und gewaltsame „Reaktion“ offenbart, die sich der von den Frauen herbeigeführten Revolution entgegenstellen möchte. Die physische Gewalt gegen Frauen kann man im Sinne einer Kontinuität interpretieren, wenn man das Fortbestehen einer althergebrachten Haltung der Männer betrachtet, die vielleicht zum ersten Mal in so heftiger Weise einer Sozialkritik unterzogen wird , aber sie läßt sich auch als etwas Neues sehen, als „Antwort“ auf die sich im Alltag ständig verändernden Beziehungen der Geschlechter.
Ein weiteres beunruhigendes Phänomen ist die Zunahme von Verhaltensformen und Mentalitäten, die sich von fundamentalistischen Denkweisen unterschiedlicher religiöser, politischer oder ethnischer Art inspirieren lassen und prinzipiell von einer autoritären und männlichen Sichtweise der Rolle der Frau begleitet werden. Genau diese Tendenzen werden mittlerweile jedoch in immer größerem Ausmaße vor allem – aber nicht ausschließlich – seitens der Frauen einer Kritik unterzogen.
In einem Kontext der (z. T. realen, z. T. durch Medien und einige politische Kräfte übermäßig betonten) Verunsicherung, des kontinuierlichen Ausnahmezustandes, der Angst vor terroristischen Aktionen und vor den Widersprüchen, die die neue Dimension der Zuwanderungsströme von Migranten hervorruft, wird in der öffentlichen Diskussion die Ursache patriarchaler und sexueller Gewalt meist anderen Kulturen und Religionen als der unsrigen zugewiesen. Eine Reihe von Stimmen hat jedoch berechtigterweise und mit Nachdruck auf die Tatsache hingewiesen, daß auch unsere westliche Gesellschaft an dieser Art von Gewalt nicht unbeteiligt war und auch heute noch keinesfalls frei von ihr ist.
Es ist sogar möglich, daß die in den Medien stattfindende Hervorhebung sexueller Gewalt, die von einem „Fremden“ ausgeht, einem unbewußten Mechanismus der Verdrängung und des falschen Bewußtseins hinsichtlich der Präsenz dieser Art von Gewalt innerhalb der Verhaltensformen von uns westlichen Männern entspricht, auch wenn der kulturelle Kontext ein anderer ist.
Man hat von der Notwendigkeit einer stärkeren Rolle der öffentlichen Institutionen gesprochen bis hin zur Erwägung, daß Gemeindevertreter und der Staat als Zivilkläger in Prozessen, bei denen es um Gewalt gegen Frauen geht, auftreten sollten. Und es wurde sogar ein angebliches „Schweigen des Feminismus“ angesichts der Häufung der Gewaltakte als Vorwurf erhoben.
Wir glauben, daß der Moment einer klaren Stellungnahme seitens der Männer in der Öffentlichkeit und der Notwendigkeit, Verantwortung zu übernehmen, gekommen ist. In diesen Jahren mangelte es nicht an einzelnen Männern oder Gruppen von Männern, die versucht haben, über die Krise der patriarchalischen Ordnung zu reflektieren. Aber es bedarf heute eines qualitativen Sprungs, der Hervorbringung einer kollektiven Bewußtmachung. Gewalt ist die dramatischste Notsituation.
Eine starke öffentliche Stellungnahme von Männern gegen die von Männern ausgeübte Gewalt könnte ein sehr wichtiges symbolisches Zeichen setzen. Auch diesen Aufruf zu verbreiten und zu unterzeichnen,
ebenso wie in Städten Veranstaltungen, Diskussionen und Aktionen zu organisieren, um eine wirkliche Auseinandersetzung darüber hervorzurufen, wäre wichtig.
Wir sind immer mehr davon überzeugt, daß ein roter Faden auch sehr verschiedene voneinander entfernte Phänomene verbindet, die sich aber zurückführen lassen auf den immer unerträglicher werdenden Widerstand, mit dem der männliche Teil der Gesellschaft auf den Wunsch der Frauen reagiert, selbst über das eigene Leben zu entscheiden, ihre neue Freiheit zu leben und zu bestimmen: der weibliche Körper wird durch Gewalt negiert. Er wird erniedrigt und als pures Tauschobjekt betrachtet. Und Frauen werden ferngehalten von Bereichen, die für die Machtausübung entscheidend sind: der Politik, den Universitäten, den Medien, dem Unternehmertum und den gewerkschaftlichen Organisationen. Der männliche Blick hat die große Veränderung unserer Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten aufgrund des massiven Eintritts der Frauen in den Arbeitsmarkt entstanden ist, noch nicht in angemessener Weise wahrgenommen.
Wir fordern und hoffen, daß endlich in ganz Italien eine öffentliche Reflexion unter den Männern beginnt und sich verbreitet, in den Familien, in den Schulen und den Universitäten, an Orten der Politik, der Medien und in der Arbeitswelt, eine allgemeine Reflexion, die ein wirkliches Umdenken in den alltäglichen Verhaltensweisen und im Leben jedes Einzelnen bewirkt.
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